#96/2015 Menschenrechte
Rosario in Argentinien wurde als erste Stadt weltweit zur Menschenrechtsstadt ernannt. Das war 1997. Graz – 2001 – kann sich mit dem Prädikat der ersten Menschenrechtsstadt Europas rühmen. Seit 2014 trägt auch Wien diesen Titel. Der Prozess, der auf die Initiative der Wiener Stadträtin Sandra Frauenberger 2013 gestartet wurde, fand seinen vorläufigen Höhepunkt in der offiziellen Eröffnung des Menschenrechtsbüros der Stadt Wien am 7. September 2015.
Universell und unteilbar, umfassen Menschenrechte jeden erdenklichen Lebensbereich. Und Menschenrechte hat man, weil man einfach ein Mensch ist. Thematisiert werden sie jedoch so gut wie immer im Zusammenhang mit ihrer Missachtung. Wie aktuell auch im Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen nach Europa, mit dem Tod im Mittelmeer, mit dem Sterben-Lassen von Menschen, die sich auf den Weg machen, um ihre Rechte als Menschen wahrnehmen zu können.
Die Ausrufung Wiens zur dritten Menschenrechtsstadt Österreichs nach Graz und Salzburg haben wir zum Anlass genommen, einerseits das Konzept der Menschenrechtsstadt unter die Lupe zu nehmen und andererseits das überaus facettenreiche Thema ausgehend von aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu diskutieren.
Philipp Sonderegger, Menschenrechtler und ehemaliger Sprecher von SOS-Mitmensch, bemängelt die national-defensive Haltung der institutionalisierten Linken und plädiert für ein globales Denken zur Verankerung der Menschenrechte auf globaler Ebene.
Shams Asadi ist die Menschenrechtsbeauftragte der Stadt Wien. Im Gespräch mit Thomas Jäkle erzählt sie, warum Wien ein Menschenrechtsbüro braucht und was vordergründig auf ihrer Arbeitsagenda steht. Graz und Salzburg haben sich schon 2001 bzw. 2008 zu Menschenrechtsstädten erklärt. Klaus Starl, als Geschäftsführer des Europäischen Trainings- und Forschungszentrums für Menschenrechte und Demokratie (ETC) Graz von Anfang dabei, berichtet vom Grazer Menschenrechtsbeirat und dem jährlichen Menschenrechtsbericht. Seit 1998 verfügt Wien über eine Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen (WASt). Angela Schwarz und Wolfgang Wilhelm von der WASt thematisieren den LGBTIQ-Aspekt von Menschenrechten und berichten über die diesbezüglichen Entwicklungen international und kommunal. Die Menschenrechtsexpertin Marianne Schulze begrüßt die Selbsterklärung Wiens zur Menschenrechtsstadt und die damit einhergehende Deklaration – allerdings mit Vorsicht. Sie zeigt konkrete Felder auf, die in die Menschenrechtsarbeit miteinbezogen werden müssten: von der Verwaltung der Geldmittel der Stadt bis zur Sanktionierung von Verhetzung nicht nur in Wahlkampfzeiten.
Das ETC Graz führte ein mehrjähriges Forschungsprojekt zur Lebenssituation von Menschen mit dunkler Hautfarbe durch. Simone Philipp, Mitautorin der Studie, präsentiert die Ergebnisse zur Diskriminierung im öffentlichen Raum und gibt Empfehlungen für die Menschenrechtspolitik. Cornelia Kogoj und Christian Kravagna reisten im Rahmen einer Forschung zu Museen und Minderheiten vier Monate lang durch die USA. Cornelia Kogoj führt uns zum „Safe House Black History Museum“ in Greensboro in Alabama. In den USA halten sich auch die Protagonisten von Erwin Riess auf. Im Garten des jüdischen Pflegeheims in der East Houston Street in New York hören wir diesmal neben den gewohnt kritischen auch lobende Worte über die (Flüchtlings-)Politik.
Gani und Vehbiye Bilir haben ihr Leben als „Gastarbeiter“ in Deutschland bis ins kleinste Detail dokumentiert. Die Enkelin Cana Bilir-Meier denkt über das Erinnerungsarchiv ihrer Großeltern nach. Eine telefonische Anlaufstelle für in Seenot geratene Flüchtlinge im Mittelmeer: Watch the Med – Alarm Phone. Wie dieses humanitär-politische Unternehmen funktioniert und was den Aktivist_innen wichtig ist fasst Gerd Valchars in der Radio-Stimme-Nachlese zusammen. Schon vor 59 Jahren trafen in Österreich innerhalb von wenigen Monaten fast 200.000 Flüchtlinge ein. Allerdings damals nicht über sondern direkt aus Ungarn. Für ihrer Kolumne Spurensicherung schreibt Vida Bakondy diesmal über den Dokumentarfilm „Out“ von Lionel Rogosin aus dem Jahr 1956, der das Schicksal ungarischer Flüchtlinge zum Thema hat.
Erratum
In der letzten Stimme-Ausgabe (Nr. 95) ist auf Seite 17 als Fotocredit irrtümlich Tuncay Özkan angegeben worden. Richtig ist Sinan Göksel. Wir entschuldigen uns für den Fehler.
Einen nicht zu dunklen, nicht zu kalten Herbst wünscht
Gamze Ongan, Chefredakteurin
Stimmlage von Hakan Gürses
Groll von Erwin Riess