#95/2015 Humor
Lachen unter Tränen, Galgenhumor, zum Totlachen: Steckt in jedem Witz eine Katastrophe, wie der Meister des grotesken Humors, der große Theatermacher und Autor Georges Tabori gemeint hat? Man möchte fast sagen: Ja. Der Witz als Rettungsring, das Lachen als kurzweilige Befreiung aus der Klemme. Auch die bekannte Devise des deutschen Schriftstellers Otto Julius Bierbaum, Humor sei, wenn man trotzdem lache, legt nahe, dass es sich beim Humor immer um ein Lachen in einer Situation der Gefahr oder des Scheiterns handeln muss. Nach diesen Beschreibungen dürfte sich Humor jedoch nicht gegen Dritte richten.
Wir fragten unsere Autor_innen, was der Humor auch sein kann, was er vermag, ob und wann er diskriminiert. Ein Sommerheft über böse Witze, politisch korrekten Humor und Selbstironie.
„Jeder gute Witz hat seine Zeit und seinen Raum“, meint etwa Doron Rabinovici und startet mit einer Anleitung zum jüdischem Witz.
Wer darf worüber lachen? Wer entscheidet das? Warum so viel Hass? Hakan Gürses formuliert schon zu Beginn seiner Thesen zu Humor die Fragen, die uns spätestens nach dem islamistisch motivierten Terroranschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo intensiv beschäftigen.
Esin Akkaya hat die türkischen Satiremagazine durchforstet, um ihre Reaktion auf die Arbeitsmigration ins europäische Ausland zu ermitteln. Sie analysiert anhand von fünf Cartoons die Wahrnehmung der „Gastarbeiter“ aus der Perspektive des Entsendelandes.
„Kötü Kız“ ist das „böse Mädchen“, Tabubrecherin und freizügige Heldin der türkischen Comicautorin Ramize Erer , mit der sie an die Grenzen ihrer Leser_innen geht. Fatih Aydogdu sprach mit ihr über (Männer-)Gewalt und ihre Freundschaft mit Georges Wolinski, dem ermordeten Zeichner von Charlie Hebdo.
Gin Müller schließlich stellt die Frage nach einem spezifischen queeren Humor und diskutiert dessen subversive Macht.
Dumpfer Humor versus scharfer Witz: Erwin Riess ‚ Helden Groll und der Dozent führen einen Disput über Humor bzw. Humorlosigkeit von Minderheiten.
Vida Bakondy entdeckte diesmal Comics unseres Kolumnisten Hakan Gürses aus dem Jahr 1991. Sie stellt uns Gürses‘ Comicfigur „Tschuschi“ in ihrem Wiener Alltag zwischen „Multi-Kulti“ und Rassismus vor.
Ende des Humors – zu etwas Ernstem: Am 24. April 2015 wurde weltweit an die bis zu 1,5 Millionen Opfer des Genozids an Armenier_innen gedacht. Die offizelle Türkei wehrt sich jedoch bis heute – auch im 100. Jahr – gegen die Bezeichnungen „Völkermord“ oder „Genozid“. Duygu Özkan hat mit Yetvart Danzikyan, dem Chefredakteur der türkisch-armenischen Zeitung Agos in Istanbul gesprochen.
In eigener Sache
Bis Ende 2015 bekommen Sie die Stimme noch zweimal, jeweils zu den Themen Menschenrechte und 70 Jahre Kriegsende aus der Sicht von Minderheiten. Damit wir die Seitenzahl und die Qualität weiter in gewohnter Form halten können, sind wir mehr denn je auf Ihre Abo-Beiträge angewiesen. Mit 20 Euro im Jahr können Sie dazu beitragen, dass die Stimme auch in den kommenden Jahren bestehen bleibt. Dafür jetzt schon einen ganz herzlichen Dank!
Einen lustigen Sommer mit viel Grund zur Freude wünscht
Gamze Ongan | Chefredakteurin