#72/2009 Minderheiten und Wirtschaft
„Geht’s der Wirtschaft gut, geht´s uns allen gut.“ Hört sich plausibel an, was Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl lange vor der Wirtschaftskrise als Leitspruch für eine Kampagne in die Mikrofone diktiert hat. Doch ist es nur eine Variante. Drehen wir den Spieß doch einmal um, schaut es gleich wesentlich menschenfreundlicher aus. „Geht’s uns allen gut, geht’s der Wirtschaft gut.“ Oder vielleicht noch besser? Wenn man die Menschen, lässt, unterstützt und ermutigt.
Beleuchtet aus unterschiedlichen Bedürfnissen – das ist gleichsam ein menschliches und ökonomisches Anliegen – zeigen die AutorInnen dieser Ausgabe die anderen Facetten des Wirtschaftens auf.
„Auf eigene Rechnung“: Unser Titel ist dem Soziologen Erol Yıldız entliehen. In seinem Beitrag plädiert er am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland für die Anerkennung der ökonomischen Struktur migrationsgeprägter Viertel als Erfolgsgeschichten der EinwanderInnen. Migrantisch organisierte Ökonomien sind für Yıldız eine Art selbstorganiserte Integration. Beat Weber beschäftigt sich mit den sogenannten Remissen – den Rücküberweisungen von MigrantInnen in ihre Herkunftsländer. Diese Beträge übersteigen die Summe der Entwicklungshilfegelder der Industriestaaten. In Zeiten der Wirtschaftskrise steigt das Risiko für Mobbing. Dieses richtet sich gegen leichter Angreifbare, vor allem gegen Personen aus den gesellschaftlich systematisch diskriminierten Gruppen. Sarah Galehr und Andreas Görg haben sich intensiv mit Mobbingrisiken und –prävention befasst. Nadja Schefzig, Trainerin für Diversity Management, nimmt Stellung zur Kritik an der eigenen Disziplin und zeigt gleichzeitig die Chancen eines kritischen Diversity Management auf. Zwei Beiträge thematisieren die Rolle der Interessensgemeinschaften und anderer wirtschaftlicher Zusammenschlüsse für den politischen Emanzipationsprozess der Minderheiten. Benjamin Wakounig stellt den Slowenischen Wirtschaftsverband vor, der 1988 als Selbsthilfe zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der slowenischen Volksgruppe in Kärnten gegründet wurde. Die Rechtsanwältin Michaela Tulipan berichtet im Gespräch mit Sushila Mesquita und aus der Sicht der Queer Business Women über die Diskriminierung der Lesben im Berufsleben und die Gegenstrategien. Die „Fernseh-Nannies“ ziehen nun auch in die migrantischen Haushalte ein. Barbara Eder entlarvt in ihrem Kommentar die RTL-Show „Knapp bei Kassa“ als (post)koloniale Medienpädagogik.
Das Team der RADIO STIMME startete im Juli einen Rundruf bei dreizehn BürgermeisterInnen aus dem Süden und Osten Österreichs, um die Stimmung über das Ausschreibungsverfahren des Innenministeriums für eine Asyl-Erstaufnahmestelle aufzufangen. Eine Nachlese von Alexander Pollak über den 13. Bürgermeister und das vorläufige Ende dieser Geschichte.
Für die Themenstrecke der vorliegenden STIMME hat die Fotokünstlerin Eva Moschitz (geb. 1979) ihre Werke zur Verfügung gestellt. Nach Einzelausstellungen in St. Johann, Graz und Wien stellte Moschitz zuletzt 2009 in der Wiener Urania zum Thema „Arabische Aufschriften“ aus. 2009 wurden ihre Fotografien als Teil des Kärntner Kalender – Koroški koledar und in der Tageszeitung „Die Presse“ gedruckt. Eva Moschitz lebt und arbeitet in Wien.
Anregendes Lesen und Schauen wünscht
Gamze Ongan, Chefredakteurin