#85/2012 Vorzeigeminderheiten
Der Begriff Model Minority – Vorzeigeminderheit – entstand in den 1960er Jahren in den USA. Damit sollte der Erfolg der Asian-Americans – EinwanderInnen und deren Nachkommen aus China, Japan, Philippinen, Vietnam, Indien und Korea – hervorgehoben werden. Zum Messen von Erfolg wurden insbesondere die Schulbildung und die Höhe des Einkommens herangezogen. Weitere Kriterien waren die niedrige Kriminalitätsrate sowie stabile Familienverhältnisse. Bis heute gelten die EinwanderInnen aus asiatischen Ländern – nicht nur in den USA – als Vorzeigeminderheiten, auch wenn diese Annahme in den vergangenen Jahren als Mythos und Stereotypisierung zunehmend kritisiert wurde.
Bemerkenswert sind andererseits die deutliche Unterrepräsentation der Asian-Americans in politischen Ämtern der USA sowie ihre geringe Wahlbeteiligung. Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Matthias S. Fifka stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die politische Passivität förderlich für die Wahrnehmung als Vorzeigeminderheit ist? Hat der bescheidene Immigrant Vorbildcharakter, der den Erfolg nicht über politische Forderungen, sondern über Strebsamkeit und Arbeit sucht? Dass die Hervorhebung einer ethnischen Gruppe als Model Minority hauptsächlich auf die negative Wahrnehmung einer anderen Gruppe zurückzuführen ist – wie etwa die der Hispanics in den USA – macht den Diskurs um Vorzeigeminderheiten nicht weniger problematisch.
Sebastian Kurz, der österreichische Staatssekretär für Integration, geht einen vermeintlich anderen Weg, indem er verkündet: „Nicht die Herkunft zählt, sondern die Leistung.“ Seine „Integrationsbotschafter“, jene, die mit Erfolgsgeschichten trotz Migrationsgeschichte aufwarten können, sollen die Anderen (Versager?) motivieren, noch mehr zu „leisten“. Was ist aber Leistung? Und wie manifestiert sich Erfolg? Wir baten unsere Autorinnen und Autoren um Antworten auf diese und andere zusammenhängende Fragen.
Einleitend analysieren Alexander Presinger und Niku Dorostkar die liberal anmutende Kategorie „Leistung“, der im Migrationsdiskurs die paternalistische Kategorie „Anpassung“ zu ersetzen scheint, um sie dann als „liberalen Paternalismus“ zu entblößen.
Nicht nur ethnische Minoritäten haben ihre Vorzeige-Angehörigen. Die jungen, attraktiven und finanzkräftigen Schwulen etwa sind längst im Mainstream angekommen. Andreas Brunner weist in seinem Beitrag auf den Ausschluss der Unsichtbaren hin: etwa der armen, alten und körperlich beeinträchtigten Angehörigen der lesbisch-schwulen Community.
Richard Schuberth stellte uns sein Dramolett Sevgi und Turgut zur Verfügung. Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter „vor dem gemeinsamen Migrationshintergrund“, das er im Mai 2012 in Anwesenheit des Staatssekretärs Sebastian Kurz vortrug.
Studierende aus China, denen in den USA überdurchschnittliche Begabung zugeschrieben wird, meiden Österreichs Hochschulen zunehmend bzw. lediglich 30 Prozent schließen ihr Studium erfolgreich ab. Katja Pessl und Lena Springer forschen zur sozialen Mobilität von MigrantInnen aus China in Wien und halten in ihrem Beitrag die Versäumnisse heimischer Hochschulpolitik fest.
Erwin Riess schließlich lässt Herrn Groll mit düsteren Aussichten auf die Zukunft Kärntens entwerfen, wo zwischen richtigen und falschen BürgerInnen unterschieden wird.
Mir ihrer Feststellung, dass im Landesmuseum Kärnten kein einziges Wort Slowenisch zu finden sei, sorgte Cornelia Kogoj, die Generalsekretärin der Initiative Minderheiten, für mediales Aufsehen. Wir bringen eine gekürzte Fassung des Vortrags, den sie im Oktober auf dem Europäischen Volksgruppenkongress in Klagenfurt gehalten hat.
In unserer Interview-Serie zum 50jährigen Jubiläum des Beginns der Arbeitsmigration nach Österreich widmen wir uns dem Projekt „Dokumentationsarchiv zur Migrationsgeschichte in Vorarlberg“, das von Kindern und Kindeskindern der ArbeitsmigrantInnen der Ersten Generation initiiert wurde. Wir sprachen mit Projektleiter Fatih Özçelik über die Motive, die Zuwanderungsgeschichte der Eltern und Großeltern zu dokumentieren.
Die Radio Stimme-Nachlese über die Proteste der Asylsuchenden in Deutschland wurde von den Protesten der Flüchtlinge in Österreich überholt. Eine Nachlese über das Refugee-Camp in Wien finden Sie in der nächsten Stimme.
An dieser Stelle möchten wir unsere Solidarität mit dem Kampf der Flüchtlinge bekunden. Die Initiative Minderheiten unterstützt die auf Seite 35 aufgelisteten Forderungen der Asylsuchenden.
Erholsames Jahresende mit viel interessanter Lektüre wünscht
Gamze Ongan, Chefredakteurin
aus der aktuellen STIMME:
Stimmlage: Von Worten und Verwandten von Hakan Gürses
Integration durch Leistung von Alexander Preisinger & Niku Dorostkar
Schick und schril l von Andreas Brunner
Sevgi und Turgut von Richard Schuberth
Meeresschildkröten, Seegras und Müllstudenten von Katja Pessl & Lena Springer
Ein düsterer Ausblick von Erwin Riess
Kein Slowenisch im Landesmuseum Kärnten von Cornelia Kogoj
Es geht nicht um ein Archiv über Außerirdische Interview mit Fatih Özçelik
Was wir politisch geschafft haben, war viel schwieriger als der Job der Politiker_innen von Alexandra Siebenhofer
„Kulturarbeit“ im Rückwärtsgang von Bernhard Gitschtaler & Daniel Jamritsch
Bewegungsfreiheit für alle Flüchtlinge! We will rise!