#82/2012 Sag, wie hast du’s mit der Sprache?
In eigener Sache
Sie haben es schon gemerkt: Die Stimme präsentiert sich mit dieser ersten Ausgabe 2012 in einem neuen Erscheinungsbild. Wir haben nicht nur ein neues Layout, neues Papier und Schmuckfarbe sondern auch der Umfang wurde auf 36 statt bisher 32 Seiten ausgeweitet. Für den Stimme-Relaunch ist der freischaffende Künstler und Grafikdesigner Fatih Aydoğdu verantwortlich.
Unser Ziel war, bei gleichbleibender Struktur, Inhalt und Textmenge ein neues, moderneres Layout zu gestalten, um die Stimme leserfreundlicher zu machen. Satzspiegel und Textraster sind modular aufgebaut, die neuen Typographien und einzelne fixe Stilelemente ermöglichen bei minimal gehaltenen Seitenstrukturänderungen verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten für ein zurückhaltendes aber anspruchvolles Design. Der redaktionelle Aufbau ist bis auf die neue Rubrik „Aushang“ mit Kurznachrichten und dem „Stimme-Gespräch“ gleich geblieben.
Aktuelle Ausgabe
Im Sommer 2010 traute sich eine alteingesessene österreichische Molkerei ihre Milchpackungen für türkische Supermärkte mit zweisprachigen Etiketten zu liefern. Während auf zwei Seiten der Milchkartons nach wie vor vertraut Milch stand, war auf den anderen zwei Süt zu lesen. Was als Marketinginstrument zur Gewinnung von Sympathien der KonsumentInnen türkischer Herkunft gedacht war, entwickelte sich jedoch blitzartig zu einem sprachpolitischen Skandal. Ein Proteststurm folgte. Der Ärger artikulierte sich je nach der Schattierung politischer Herkunft in folgenden Argumenten: Die zweisprachige Beschriftung sei kontraproduktiv für Integration, würden doch die Leute sich nicht die Mühe machen Deutsch zu lernen. Oder: Das Unternehmen würde um Integrationsverweigerer als Kunden buhlen. Bis zu Aufrufen, keine Produkte des Unternehmens zu kaufen und der Forderung nach Deutschpflicht für Produktbezeichnungen.
Absurd, komisch, tragikomisch – trotzdem ein eindringliches Beispiel einerseits für die Überbewertung der deutschen Sprache für Integration und andererseits für das Bedrohungspotential, das die Herkunftssprachen der eingewanderten Menschen für Österreich zu haben scheinen. Von der Ignoranz der Mehrsprachigkeit als Ressource und Bildungsziel ganz zu schweigen.
„Sag, wie hast du´s mit der Sprache?“ nannte sich – frei nach der „Gretchenfrage“ aus Johann Wolfgang von Goethes Faust – auch das Symposium anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Initiative Minderheiten im November 2011. Im vorliegenden Stimme-Heft führen wir die Diskussion um die Instrumentalisierung der Sprache als Politikum fort.
Die Macht der Sprache – produktive wie diskriminierende – bildet den roten Faden durch die Beiträge. Hikmet Kayahan kritisiert die Reduzierung der Debatten rund um Integration auf die vermeintlich ungenügenden Sprachkenntnisse und weist gleichzeitig auf die Bedeutung der Sprache als machtvolles Instrument gegen die gesellschaftliche Benachteiligung nicht nur von MigrantInnen hin. Anhand eines sprachbiografischen Gesprächs mit Mitarbeiterinnen von Migrantinneneinrichtungen stellt Vlatka Frketić die Allgegenwärtigkeit der Mehrsprachigkeit dar und analysiert, warum wir in verschiedenen Situationen vorziehen, die eine oder die andere Sprache zu sprechen. „Am 1. März sprechen wir Sprachstreik!“ So lautet das Motto des Transnationalen MigrantInnenstreiks 2012 in Österreich. Der globale Aktionstag geht auf die Proteste gegen Einwanderungsgesetze 2006 in den USA zurück und wird seit 2011 auch in Österreich begangen. Wir drucken das aktuelle Manifest ab. Um die schulische Sprachbildung österreichischer Minderheiten geht es im Beitrag von Vladimir Wakounig. Der Autor zeigt auf, warum die steigenden Teilnahmezahlen am zweisprachigen Unterricht in Burgenland und Kärnten noch keinen Grund zur Freude bilden. Jessica Beer und Cornelia Kogoj widmen sich in ihrem Artikel SchriftstellerInnen mit mehrsprachiger literarischer Sozialisation und zeigen, wie das Schreiben in Deutsch, genauso wie etwa in Kärntner Slowenisch einem politischen Statement gleich kommen kann. Der Widerstand gegen politisch korrekte Sprache als Diktat ist nach wie vor groß. Warum dürfen Ausdrücke, die „schon immer“ und „überhaupt nicht böse gemeint“ verwendet wurden, auf einmal „diskriminierend“ und daher tabu sein? Gudrun Perko und Leah Carola Czollek haben die Antworten. Ljubomir Bratić schließlich analysiert in seinem Beitrag die Machtbeziehung zwischen der Hoch- und der Alltagssprache bzw. deren SprecherInnen. Während die Wirksamkeit der ersteren in der Herstellung einer Ordnung besteht, so Bratić, befinden wir uns in der Alltagssprache in einem Reich der Ströme und des Werdens.
An dieser Stelle zwei Empfehlungen: Die Radio-Stimme Sendungen „Was sprichst Du? Ein Schwerpunkt zu Sprache, Macht und Minderheiten“ vom 2. November 2011 und “Hast du atesch? Feuer für die Mehrsprachigkeit in der Schule!“ vom 10. Dezember 2011 widmen sich ebenfalls dem Thema „Sprache“. Nachzuhören im Sendungsarchiv von Radio Stimme.
Neue Lust am Lesen wünscht
Gamze Ongan, Chefredakteurin