#92/2014 Wohnen
Wohnen in Österreich: Neben dem trauten Eigenheim, der Eigentums- oder Genossenschaftswohnung bedeutet das auch Gemeindebau. Vor allem in der Metropole Wien. Die Stadt Wien besitzt – verwaltet durch die öffentlich-rechtliche Unternehmung Wiener Wohnen – ca. 220.000 Gemeindewohnungen und ist somit die größte Hausverwaltung Europas. Ein starkes Viertel der Wiener Bevölkerung (ca. 500.000 Menschen aus 170 verschiedenen Herkunftsländern) wohnt in über 2300 Gemeindebauten.
International anerkannt, bewundert und hochgelobt, ruft der Gemeindebau heutzutage auch Assoziationen wie soziale Missstände, Bildungsferne und Gewalt hervor. Die „Stadt in der Stadt“ wird zunehmend zum Schauplatz ethnifizierter Konflikte. Während für die einen vordergründig die „Sorgen und Ängste“ der Alteingesessenen ernst genommen werden müssen, ist der Gemeindebau für die anderen schlicht und einfach ein Ort des Rassismus.
In der Hausordnung der Berliner „BauBeCon Immobilien GmbH“ aus 2002 findet sich neben Hinweisen zu Ruhezeiten, Lärmbelästigung oder Tierhaltung auch der folgende Passus: „Die Mieter verpflichten sich zum gutnachbarschaftlichen Zusammenleben mit allen Bewohnern und ihren Gästen. Dies gilt unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben sowie religiösen oder politischen Anschauungen.“ Eine – auch wenn nicht vollständige – Recherche in hierzulande gängigen Hausordnungen ergab keinen vergleichbaren Passus. Jedenfalls nicht in der Hausordnung des Wiener Wohnen für Gemeindebauten. Vielleicht eine Anregung?
In unserem Schwerpunktheft zum Thema Wohnen erwarten Sie jedenfalls Beiträge zum sozialen Wohnbau und mehr:
Duygu Özkan geht den Wohnverhältnissen Ende des 19. Jahrhunderts in Wien nach. Sie stellt fest, dass nicht nur damals, sondern auch in den 1960er Jahren vor allem die zugewanderten Werktätigen – zuerst aus Böhmen und Mähren, später aus der Türkei und aus Jugoslawien – in menschenunwürdigen Zuständen wohnen mussten.
Einen historischen Streifzug – diesmal durch den Wiener kommunalen Wohnbau – unternimmt auch Alexandra Siebenhofer. Sie untersucht den Wandel des „sozialen“ am sozialen Wohnbau – von den 1920er Jahren bis hin zur Fertigstellung des letzten Wiener Gemeindebaus im Jahr 2004.
Michaela Moser ist begeisterte Bewohnerin des Wohnprojekts Wien im neuen Stadtteil am Nordbahnhofgelände. Sie erzählt von die Entstehung ihres „Dorfes mit sieben Stockwerken“ und dessen soziokratischer Organisationstruktur.
Living Rooms nannte sich ein Forschungsprojekt (2010-2012), das sich mit der politischen Mobilisierung von Zugehörigkeit in Gemeindebauten beschäftigte. Julia Mourão-Permoser berichtet von den Projektergebnissen, die vor dem Hintergrund der anstehenden Wiener Wahlen wieder an Brisanz gewinnen.
Von Wiens sozialem Wohnbau nach Tirol: Innsbruck ist zwar keine Weltstadt, doch die extrem hohen Mietpreise lassen daran zweifeln. Stephan Blaßnig berichtet von der Errichtung einer Beschwerdestelle als Teil des politischen Kampfes für leistbares und menschenwürdiges Wohnen für Alle.
Auch in Vida Bakondys Kolumne Spurensicherung geht es um Wohnen. Ihre Analyse von zwei Fotos aus den Jahren 1974 und 1975 gibt Zeugnis nicht nur von Elendsquartieren, sondern auch von sicherheitspolizeilichen Kontrollen zur Fassung und Abschiebung von Migranten und Migrantinnen ohne geregelte Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung.
Anstelle von „Groll“ finden Sie diesmal den Abdruck der Rede von Erwin Riess anlässlich des 20. Jahrestages der Eröffnung der Gedenkstätte KZ Loibl Nord am 14. Juni 2014.
War der Sieg Österreichs beim Eurovision Song Contest 2014 und die kollektive Euphorie um Conchita Wurst wirklich der Sieg einer für Vielfalt offenen Gesellschaft? Wir baten Persson Perry Baumgartinger und Vlatka Frketic
um ihre Einschätzung. Die Antwort mussten sie erst in einem Gespräch aushandeln.
Mit einer Reportage von Jana Sommeregger gratulieren wir schließlich dem Psychosozialen Zentrum ESRA zum 20. Gründungsjahr.
In eigener Sache
In den ersten drei Ausgaben dieses Jahres haben wir uns mit den Themen Mehrsprachigkeit, Fernsehen und Wohnen auseinandergesetzt. Mit einer Vorschau auf die Ausstellung „Romane Thana – Orte der Roma und Sinti“ in unserer Winterausgabe schließen wir das Jahr 2014 ab. Wir können somit auf 23 Jahre Stimme als einzige minderheitenübergreifende Zeitschrift in Österreich zurückblicken.
Die Finanzierung unserer Zeitschrift setzt sich aus Förderungen und Abo-Beiträgen zusammen. Aufgrund der Kürzung der Förderungen um ein Viertel sind wir jedoch mehr denn je auf Ihre Abo-Beiträge angewiesen. Zur Vereinfachung der Zahlung haben wir nun auf unserer Website www.zeitschrift-stimme.at einen Abo-Button eingerichtet und freuen uns auf Ihren Besuch.
Interessante Lektüre und einen angenehmen Herbst wünscht
Gamze Ongan, Chefredakteurin