#91/2014 Fernsehen
Fernsehen hat Konkurrenz bekommen. Mächtige Konkurrenz : durch spezielle TV-Kanäle aus dem Internet. Und auch durch die Social Media, das so gut wie alle Menschen nutzen – aus allen gesellschaftlichen Gruppen. Um direkt zu kommunizieren, um mehr teilzuhaben im Meinungsbildungsprozess.
Doch das Fernsehen ist noch lange nicht tot. Es formt weiterhin die Wahrnehmung der Welt, schafft „Realität“, auch wenn öffentlich rechtliche Sender schwer unter Druck kommen. Wie geht es aber minorisierten Gruppen mit dieser „Realität“? Entspricht diese ihrer Vielfalt, ihren Wirklichkeiten und ihrer Vorstellung von Vergnügen? Wir baten unsere Autor_innen, Antworten auf diese Fragen zu suchen.
„ORF. Wie wir.“ Die Zielgruppenkampagne des österreichischen Rundfunks inspiriert gleich einige unserer Autor_innen zur Frage: Wer ist „wir“?
Die Kommunikationswissenschaftlerin Assimina Gouma leitet aus dieser Formulierung einen Auftrag an „uns“, den ORF zu verändern, indem wir ihn zu einem Mittel gegen Rassismus machen.
Die Historikerin Renée Winter veröffentlichte vor kurzem ein Buch zu Repräsentationen des Nationalsozialismus im frühen österreichischen TV (siehe auch die Buchbesprechung auf Seite 32). In ihrer Analyse der aktuellen Geschichtsprogramme des ORF stellt sie eine Rückkehr zum Prinzip der staatsbürgerlichen Erziehung fest.
Der US-amerikanische Medienwissenschaftler und Kritiker des Mediums Fernsehen Neil Postman meinte, der Zwang zur Bebilderung führe zu einer Entleerung der Inhalte. Matthias Euba, Sendungsplaner und CvD der ZiB-Sendungen auf ORF eins, illustriert anhand des Themas „Homosexualität“ das Zustandekommen von Headlines, Bildern und „G´schichten“.
Mit negativen, aber auch Best Practice-Beispielen zur Darstellung bzw. Partizipation von Menschen mit Behinderung im deutsch- und englischsprachigen Fernsehen beschäftigt sich Madlen Abdallah. Auch Florian Wagner richtet den Blick über Österreichs Grenzen hinaus, wenn er den (Pseudo-)Tabubruch in den TV-Comedy-Formaten kritisch unter die Lupe nimmt.
Dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen täte es gut, sich zu öffnen – in der Personalpolitik und auch für andere Erzählungen von Wirklichkeit, will es nicht zu einem Phantom verkommen, meint die Kultur- und Medienwissenschafterin Monika Bernold.
Auch in der Radio-Stimme-Nachlese geht es um das Medium. Petra Permesser spricht mit Simon Sailer, dem Mitherausgeber des Sammelbands „Kennt ihr schon HIGLSFUYM“, zu kritischem Potenzial der TV-Serien.
Ein geplantes (und zugesagtes) Interview mit dem ORF-Generalintendanten Alexander Wrabetz ist aufgrund von dessen fehlenden zeitlichen Ressourcen nicht zustande gekommen. Wir bedauern dies sehr, hätten wir doch vielleicht die eine oder andere Antwort auf die von unseren Autor_innen kritisierten Praktiken und Konzepte des ORF bekommen.
An dieser Stelle noch einen herzlichen Dank an Renée Winter für die konzeptionelle Unterstützung dieses Fernseh-Heftes.
Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns vom Kahlauer, der uns seit zwanzig Jahren – seit der zehnten Ausgabe im Jahr 1994 – mit seinem Tagebuch begleitet hat. Wir bedanken uns bei ihm ganz herzlich für seine Verbundenheit und Unterstützung.
Gleichzeitig begrüßen wir unsere neue Kolumnistin, die Historikerin und Stimme-Autorin Vida Bakondy. Ausgangspunkt ihrer Kolumne mit dem Titel Spurensicherung ist jeweils ein historisches Dokument zu minderheitenpolitischen Themen. Es handelt sich dabei um historische Fundstücke, einzelne Spuren, gefunden in verschiedensten Archiven; anhand dieser Spuren sollen (oft marginalisierte) Geschichten erzählt und ihre jeweiligen gesellschaftspolitischen Kontexte erschlossen werden. Lesen Sie in dieser Ausgabe die Analyse einer Folge des ORF-Jugendmagazins X-Large aus dem Jahr 1989 zur Situation von Schwarzen Menschen in Österreich.
Nicht zuletzt erwartet Sie in diesem Heft eine Bildstrecke zum 50-jährigen Jubiläum des Abkommens über die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte und deren Beschäftigung in Österreich. Die abgebildeten Plakate entstanden als Projekt von Vida Bakondy und Gamze Ongan für die Initiative Minderheiten in Kooperation mit dem Archiv der Migration.
Die Plakate hängen seit dem 15. Mai in den Straßen Wiens und geben Originalzitate aus den Jahren 1962 bis 1964 wieder.
Eine informative Lektüre und einen bilderreichen Sommer wünscht
Gamze Ongan, Chefredakteurin