#90/2014 Mehrsprachigkeit

Editorial #90
Das erste Heft 2014 widmen wir der Dokumentation eines Symposiums der Initiative Minderheiten, das Ende November des vergangenen Jahres im Österreichischen Museum für Volkskunde in Wien stattgefunden hat.
Unter dem Titel „Mehrsprachigkeit in Wien historisch betrachtet“ haben die eingeladenen Expertinnen und Experten aus dem In- und Ausland zwei Tage lang die Geschichte der Mehrsprachigkeit entlang historischer Konfliktlinien diskutiert und gleichzeitig diese mit aktuellen Debatten in Verbindung gebracht.
Der leitende Gedanke bei der Konferenzvorbereitung bestand laut Mitkurator Wladimir Fischer-Nebmaier darin, die häufige Verwechslung der symbolischen und der kommunikativen Ebene des Sprachgebrauchs aufzuklären:
„In politischen Debatten geht es meistens um die symbolische Funktion der Sprache – um Sprache als Symbol etwa sozialer Zugehörigkeit, politischer Ausrichtung und vieles Anderes mehr. Anders bei der kommunikativen Funktion von Sprache: Hier geht es vor allem darum, sich zu verständigen.“
Welche Sprachen dabei tatsächlich gesprochen werden, läuft laut Fischer-Nebmaier der Sprachsymbolik oft zuwider, weil hier eine andere Logik am Werk ist. Wir wissen alle, dass oft mehrere Sprachen gleichzeitig eingesetzt werden, „aber wer will schon öffentlich verkünden, dass in Wien und überall auf der Welt, die Staatssprache nicht oder nicht allein verwendet wird? Freilich kommen die symbolische und die kommunikative Funktion in der konkreten Sprachsituation gleichzeitig zum Tragen. Diese Mischverhältnisse sind jedoch schwer zu dokumentieren, weil sie vielfältig sind und massenhaft jeden Tag passieren. Und das ist besonders für die historische Betrachtung ein Problem.“
Die Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe versuchen trotzdem der symbolischen und funktionalen Ebene des Sprachgebrauchs nachzugehen – in der Vergangenheit und heute. Sie zeigen entweder Fälle, wo die beiden Ebenen durcheinander geraten sind und versuchen dieses Durcheinander aufzulösen. Oder sie befassen sich intensiv mit der einen oder anderen Funktion von Sprache.
Mit Ausnahme der Beiträge von Bernd Meyer und Vladimir Wakounig handelt es sich bei allen Texten um gekürzte Fassungen der Symposiumsvorträge. Eine Buchpublikation ist in Planung.
Des Weiteren beschäftigen wir uns in diesem Heft mit folgenden Themen:
Barrierefreiheit ist noch lange keine Selbstverständlichkeit, selbst in öffentlichen Kulturbetrieben nicht, wie Erwin Riess anlässlich der Manfred Bockelmann-Ausstellung in Klagenfurt ein weiteres Mal feststellen musste.
Vida Bakondy landete in ihren Recherchen über die Geschichte der Arbeitsmigration einen weiteren Glücksfund im Archiv: Sie hat eine Schwarz-Weiß-Fotografie entdeckt und stellt für uns deren Geschichte dar.
In der Radio-Stimme-Nachlese thematisiert Petra Permesser anhand des Sammelbandes „Mythos Partizan“ die neue Geschichtsschreibung in den neuen Nationalstaaten des postjugoslawischen Raums.
Bernhard Gitschtaler und Daniel Jamritsch vom Verein Erinnern Gailtal schließlich beanstanden selektives Gedenken. Ihr Beitrag handelt unter anderem von der Ausklammerung der NS-Opfer in Hermagor anhand der Geschichte des jüdischen Arztes Albert Menninger-Lerchenthal.
In eigener Sache
Die Initiative Minderheiten trauert um ihr langjähriges Vorstandsmitglied und Stimme-Autorin Helga Pankratz, die Ende Jänner 2014 verstorben ist. Jahrelang war Helga für die Initiative Minderheiten eine große Stütze, Mitdenkerin und in ihrer konsequenten Haltung einzigartig. Wir werden sie sehr vermissen.
Einen schönen Frühlingsbeginn mit interessanter Lektüre wünscht
Gamze Ongan, Chefredakteurin