#86/2013 Brüche und Kontinuitäten 1938 – 2013
Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich im März 1938 jährt sich heuer zum 75. Mal. Der 12. März 1938 markiert den Beginn einer ungeheuerlichen Vertreibung, Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen aufgrund ihres Jüdisch-Seins, ihrer ethnischen Herkunft, sexuellen Orientierung, körperlichen oder psychischen Behinderung, Religion, ihres Widerstands gegen die NS-Diktatur oder der Kriegsdienstverweigerung. Insofern stellt 1938 auch einen vollständigen Wandel in der Minderheitenpolitik dar: die systematische Verfolgung von allen Minderheitengruppen. Und zwar auch von denen, die im Austrofaschismus nicht im Mittelpunkt der Ausgrenzung standen.
Für die erste Ausgabe 2013 haben wir unsere Autorinnen und Autoren eingeladen, sich mit dem geschichtspolitischen Umgang Österreichs mit der belasteten Vergangenheit, mit Brüchen und Kontinuitäten zu befassen.
Einleitend beschäftigt sich der Philosoph Hakan Gürses mit der Frage, ob die Formel „Erinnern/Gedenken ist gleich Aufklärung, Vergessen/Verdrängen ist gleich Manipulation“ heute noch gültig ist. Sowohl Antisemitismus, als auch die Frage von Schuld und Täterschaft bleiben in der schulischen Bildungsarbeit nach wie vor ausgespart. Ausgehend von Theodor W. Adornos Texten befasst sich die Politologin Elke Rajal mit dem Konzept einer „Erziehung nach Auschwitz“. Die Historikerin Heidemarie Uhl erklärt im Interview mit dem Politologen Gerd Valchars, welche Bedeutung das Jahr 1938 heute als Gedenkjahr hat. Die Menschenrechtsexpertin Marianne Schulze analysiert in ihrem Beitrag die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der NS-Eugenik auf die Nachkriegszeit. Die Künstlerin Tatiana Lecomte schickte im Laufe eines Jahres 17.500 eigenhändig beschriftete Postkarten an die BewohnerInnen von St. Pölten – als ein Mahnmal, das von der Kunsthistorikerin Verena Gamper vorgestellt wird.
In dieser Ausgabe starten wir eine Serie zu Ungarn. Der Anlass ist die demokratiepolitisch höchst bedenkliche Politik der rechtskonservativen Regierungspartei Fidesz und ihr Umgang mit Minderheiten, insbesondere den ungarischen Roma. Den Anfang macht der Journalist Tamás Müller mit einer Analyse der vergangenen 25 Jahre, in denen seiner Meinung nach der Boden für die Empfänglichkeit für rechte Politik vorbereitet wurde.
In seiner „Kleinen winterlichen Wahrschau“ spannt Erwin Riess einen Bogen von Griechenland über Ungarn nach Österreich und warnt – gleich den Lotsen in Binnengewässern – vor den gefährlichen Untiefen etwa einer Dauerrezession und dem Rückbau der Sozialleistungen.
Die Initiative Minderheiten trauert um zwei großartige Menschen, die in den vergangenen Monaten von uns gegangen sind. Wir bringen Nachrufe auf Gerlinde Haid von Ursula Hemetek und auf Ceija Stojka von Beate Eder-Jordan.
Die Radio-Stimme-„Nachlese“ greift ausnahmsweise auf eine erst kommende Sendung vor und analysiert die aktuelle mediale Diskussion über die Flüchtlingsproteste, die sich unter anderem auch um „Missbrauch der Flüchtlinge durch AktivistInnen“ dreht.
In eigener Sache
Die Initiative Minderheiten startete Anfang März gemeinsam mit dem Romano Centro, dem Verein Roma-Service und der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung ein neues Bildungsprojekt. Roma Bildungs- und Ausbildungsstudie (ROMBAS) ist ein Teilprojekt des vom bm:ukk und dem Europäischen Sozialfonds geförderten Gesamtprojekts VIV – Inklusion und höhere Bildungsabschlüsse (gemeinsam mit der VHS Wien und der VHS Linz) und dauert bis August 2014. Eine qualitativ-empirische Untersuchung soll neue Aufschlüsse über die Bildungs- und Ausbildungssituation der Roma in Österreich bieten, um daraus zielgerichtete Initiativen zur Verbesserung entwickeln zu können. Roma-Angehörige werden dabei als ForscherInnen eine zentrale Rolle spielen. Das Projekt wird mit einer Publikation zur Studie und einer Tagung abgeschlossen. In den nächsten Ausgaben werden wir über die Projektfortschritte berichten.
Eine anregende Lektüre wünscht
Gamze Ongan | Chefredakteurin