#68/2008 Erinnerung & Kontinuität
Seit Anfang des Jahres erinnern in ganz Österreich zahlreiche Projekte und Veranstaltungen an den „Anschluss“ an das Deutsche Reich vor 70 Jahren. Das nationalsozialistische Regime machte (auch und vor allem hierzulande) neben Jüdinnen und Juden jene minoritären Gruppen zu seiner Zielscheibe, die es entweder als „rassisch“, biologisch, anthropologisch und kulturell „nieder“ bzw. ,„unwert“ bezeichnete oder aus politischen Gründen verfolgte. Die Tatsache, dass diese Gruppen (Volksgruppen, vor allem Roma und Sinti; Lesben und Schwule; Behinderte; Menschen mit „nicht-weißer“ Hautfarbe; Religionsminderheiten …) auch heute als Minderheiten gelten, verleiht der Erinnerung eine besondere Aktualität.
Für das vorliegende Gedenk-Heft haben wir ExpertInnen eingeladen, über die Kontinuität der Minorisierung auch heutzutage zu berichten und sich mit dem Erinnern an sich sowie mit den Möglichkeiten nachhaltiger Erinnerungsarbeit auseinanderzusetzen.
Die Beiträge von Peter Gstettner, Nadja Danglmaier sowie Eva Schwarzmayer und Horst Horvath treten für eine Erinnerungsarbeit an Orten des Verbrechens ein, die an Stelle von „unbegreiflichen Tragödien“ konkrete Schicksale vermittelt und somit für die Nachfolgegenerationen dem Nationalsozialismus ein Stück seiner Abstraktheit nimmt.
Vinzenz Jobst plädiert in seinem Text für abschließende rechtspolitische Schritte zur juristischen Rehabilitierung der Verfolgten der NS-Justiz – für ihn geht es hierbei vor allem um die Würde der Republik.
Groll und der Dozent, die beiden Helden von Erwin Riess, stehen vor dem Konzerthaus in Wien und denken über das Kriegsgefangenenlager nahe dem Beethovenhaus in Gneixendorf nach.
Anlässlich einer Exkursion in die Gedenkstätten- und Museumswelt in und rund um Berlin setzt sich Alexander Pollak mit Fragen zu Gestaltung und Sprache zeithistorischer Ausstellungen auseinander.
Thomas Schmidinger erinnert sich an das ländliche Österreich seiner Kindheit und unterzieht den Umgang der Großeltern mit der jüngsten Vergangenheit einer näheren Analyse.
Barbara Eder führt ihre Auseinandersetzung mit der Grafic Novel Persepolis von Marjane Satrapi aus dem letzten STIMME-Heft fort und befasst sich mit der Darstellung von oral history in Bildern als Beitrag für die Erinnerungsarbeit.
Und nicht zuletzt zeichnet Erwin Riess in einem kritischen Kommentar die Geschichte der Grünen Partei und der Behindertenbewegung in den letzten 25 Jahren nach.
Diese Ausgabe der STIMME ist im intensiven Austausch mit den Vorstandsmitgliedern und Mitarbeiterinnen der Initiative Minderheiten entstanden. Ihnen gilt an dieser Stelle ein herzlicher Dank. Der Schwerpunkt Erinnerung und Kontinuität wird auch in den nächsten Ausgaben der STIMME fortgeführt werden.
Gamze Ongan, Chefredakteurin