#65/2007 Jung und minorisiert
Regelmäßig werden Erhebungen über die Meinung der Jugendlichen zur Politik durchgeführt. Auch von der Politik vorgegebene und medial fortgesetzte Debatten über Themen wie die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre sind weitere Indikatoren dafür, dass sich der öffentliche Blick in regelmäßigen Abständen auf die Jugend, ihre Interessen und ihre Bedürfnisse lenkt.
Doch wird dabei häufig vergessen, dass die Jugend selbst keine einheitliche, homogene Gruppe darstellt, sondern in mehrfacher Hinsicht eine Diversität aufweist. In diesem Zusammenhang kann sogar von einer „Mikrogesellschaft Jugend“ gesprochen werden, zumal sich darin die gesamtgesellschaftliche Bevölkerungsheterogenität im Spezifischen wiederfindet. Trotz übergreifender Pop-Kultur und trotz der nivellierenden Wirkung der elektronischen Medien werden Differenzen innerhalb der Jugend insbesondere in der Bildung und in der Freizeitgestaltung sichtbar. Ein differenzsensibler Blick auf die Jugend genügt, um festzustellen, dass darin einige Gruppen auf mehrfache Weise benachteiligt bzw. ausgeschlossen werden:etwa in manchen Bildungseinrichtungen, die der jeweiligen Besonderheit dieser Gruppen (Primärsprache, Behinderung, sexuelle Orientierung, Erfahrungen mit Migration, Flucht etc.) zumeist nicht gerecht werden, oder aber umgekehrt durch pädagogische Segregation (Sonderschulen, nach religiös-sprachlich-ethnischen Kriterien getrennte Schulen oder Schulklassen …).
Auch im Alltag erfahren diese Jugendgruppen Benachteiligungen, die häufig als offene Diskriminierung (Disco-Verbot für türkische oder Roma-Jugendliche; Anpöbelung Kopftuch tragender Mädchen in öffentlichen Verkehrsmitteln; Verhöhnung schwuler Jungen oder lesbischer Mädchen in der Schule) zutage treten. Diese gesellschaftliche Lage wirkt ausschließend und führt auch auf individueller Ebene meist zu stereotypen beruflichen und sozialen Laufbahnen – von den psychischen Folgen und von der Rückwirkung der individuellen Minorisierung auf die sozialen Strukturen ganz zu schweigen.
Hinzu kommt noch die Abwesenheit dieser Gruppen in öffentlichen und medialen Diskursen (so etwa in der Berichterstattung) bzw. ihre Darstellung darin als „Problemfälle“ oder lediglich als Gegenstand politischer Debatten.
Die minorisierten Jugendlichen bilden den Schwerpunkt des vorliegenden STIMME-Heftes. Die Thema-Beiträge befassen sich mit der Art und Weise ihrer Benachteiligung und deren Konsequenzen, mit ihren Gegenstrategien sowie mit Perspektiven zur strukturellen Bekämpfung ihrer Minorisierung.
Hakan Gürses, Chefredakteur