#127/2023 Diversität in der Literatur
Mit Kim de l’Horizon hat 2022 zum ersten Mal eine nichtbinäre Person – mit einem Roman über das Leben einer nichtbinären Person – den Deutschen Buchpreis gewonnen. Der deutsche Kulturjournalist Arno Frank sieht diese Entscheidung der Jury als Signalfeuer, das sagt: „Seht her, dies ist die Gegenwart!“ Die Dringlichkeit, die Gegenwart in der zeitgenössischen Literatur wahrzunehmen, unterstreicht auch Karin Schmidt Friedrichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Der Preis sei eine Einladung, die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu erweitern: „Bestenfalls holen wir uns damit gegenseitig aus unseren Filterblasen heraus, bewegen uns und andere zum Nach-, Um- und Weiterdenken.“
Nicht nur diese Juryentscheidung, auch die zunehmende Zahl sowie Auflage von (immer öfter preisgekrönten) Texten von und über die Erfahrungswelten marginalisierter Gruppen, bilden den Anlass für das vorliegende Schwerpunktheft. Wir finden, die Reduktion von Autor*innen auf ihre ethnische, religiöse oder sexuelle Orientierung, sprich auf ihre vom Mainstream abweichenden Biografien, um sie folglich vom „großen“ Literaturbetrieb auszugrenzen, wird nicht mehr so einfach sein.
Zu Beginn der Themenstrecke „Repräsentation und Diversität im Literaturbetrieb“ reflektiert der Autor und Theaterregisseur Moritz Franz Beichl Erzählformen queerer Inhalte in Literatur, Film, TV und Streaming, indem er diese mit seinem queeren Aufwachsen verknüpft. In einem literarischen Essay äußert sich Fritzi M. über soziale Herkunft und Literatur. Das mehrsprachige kollektiv sprachwechsel will zur Produktion von literarischen Texten in Deutsch als Zweitsprache ermutigen. Der Text „Gedankenstriche“ von Radostina Patulova und Ovid Pop ist als eine Art Manifest zu lesen.
Sensitivity Reading ist ein Lektoratsangebot an Autor*innen, die über marginalisierte Gruppen außerhalb ihrer eigenen Erfahrungswelt schreiben. Wir sprachen mit der Literaturbloggerin Alexandra Koch über ihre Arbeit als Sensitivity Readerin mit Schwerpunkt Darstellung behinderter Menschen in der Literatur.
Danke, Jessica Beer! Nicht nur für die Gesprächsführung mit der Gründerin der edition exil und der exil-Literaturpreise Christa Stippinger und den Autor*innen Seher Çakır und Samuel Mago. Herzlichen Dank auch für die große Unterstützung bei der Konzeption dieser Ausgabe und die Brückenbildung zu unseren Autor*innen.
Die Theater- und Kulturwissenschaftlerin Darija Davidović forscht u. a. zu Inszenierungspraktiken von Kriegsgewalt im europäischen Gegenwartstheater. Sie hat für uns die queer-feministische Aktivistin und Performance-Künstlerin Zoe Gudović gefragt, wie sie als Arbeiterkind zum Theater kam und wie die Arbeiter*innenklasse künstlerisch repräsentiert werden kann. Und nicht zuletzt haben wir für Sie Empfehlungen für gute Bücher von und über marginalisierte Gruppen zusammengestellt.
Wir haben Erwin Riess verloren – unseren Freund und Mitstreiter über drei Jahrzehnte. Und mit ihm sein großes historisches Wissen und den kompromisslosen politischen Aktivismus für – nicht nur – Behindertenrechte.
Wir können es nicht fassen, wie Vladimir Wakounig in seinem Nachruf schreibt, dass Erwin sich nicht mehr zu Wort melden wird. Oder wie Jessica Beer unmittelbar nach Erwins Todesnachricht formulierte: „Erwin, du fehlst jetzt schon. Unermüdlicher Kämpfer für Gleichberechtigung und Behindertenrechte, immer warst du klarsichtig, lebenslustig und kompromisslos, wir haben so viel von dir gelernt! Dass dich dieser fiese Tod so früh geholt hat, ist inakzeptabel. Wo immer du jetzt bist, ich weiß, dass du niemals aufgibst!“Auf Seite 34, wo Sie bisher Erwins Kolumne „Groll“ gelesen haben, verabschiedet sich Hakan Gürses von seinem langjährigen Freund mit einer letzten Zeichnung.
Ich sage – auch im im Namen meiner Kolleg*innen der Initiative Minderheiten:
Adieu, Erwin, wir danken dir für alles!
Gamze Ongan, Chefredakteurin
Das Vermächtnis des Freundes – von Hakan Gürses
Empfehlungen für diverse Literatur – von Jessica Beer, Jana Sommeregger, Michael Haupt, Erika Thurner, Lydia Novak und Seher Çakır
Lektüre – von Petra Flieger und Renée Winter
Gestaltung: Fatih Aydoğdu
Lektorat: Daniel Müller www.syntext.at
Aboservice: abo(at)initiative.minderheiten.at
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Fördergeber*innen: Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7), Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKÖS), Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF), Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Zukunftsfonds der Republik Österreich, Land Kärnten Kultur, Kulturabteilung Burgenland, Land Tirol